Böhmermann
Alles andere als Satire - und trotzdem...

Die Kommentierungswut tobt immer noch im Netz, und Angela Merkel würde sicher abgewählt werden, wenn morgen Bundestagswahlen wären…

Das ist nicht das Endergebnis, sondern allenfalls ein Zwischenstand im "Fall" Böhmermann (was es inzwischen ist).

Immer, wenn es um Satire geht und was sie darf oder kann, werde ich hellhörig. Schließlich habe ich selbst schon einiges davon gelesen und manches geschrieben. Die Messlatte für eine Beurteilung ist für mich nach wie vor der bekannte Text von Kurt Tucholsky "Was darf die Satire?". Interessant ist übrigens, daß dieser bei der großen Anzahl an Äußerungen so gut wie keine Rolle spielt.

Tucholskys Schlußaussage ist übrigens, daß Satire alles darf und es keine Tabus geben darf - auch nicht gegenüber dem "Landesfeind" Damit ist zur Zeit nicht Erdoğan gemeint - zumindest nicht im aktuellen Verständnis der Bundeskanzlerin.

Über das sogenannte Schmähgedicht von Böhmermann wurde zuweilen geäußert, daß es grottenschlecht sei. Das trifft es nicht ganz. Genau genommen ist es eine unzumutbare Zumutung in Form von einem Dutzend unterirdischer Zweizeiler, die vom Niveau allenfalls an Klosprüche pubertierender Jungs erinnern. Der Inhalt ist sexistisch, frauenfeindlich und rassistisch ("stinkende Döner"). Nicht alles, was sich reimt, ist auch Kultur.

Ich kenne nichts von Böhmermann, aber dieses Gedicht reicht mir, um festzustellen, daß er offenbar auf der unsäglichen Comedy-Welle herumschwimmt, die seit Ende der Achtziger über die Privaten Fernsehsender von den USA nach Deutschland geschwappt ist. In den USA gibt es Satire oft nur in Comedy versteckt. Satire ist links und richtet sich immer gegen die herrschenden Verhältnisse, Comedy in Deutschland kann das manchmal auch, aber ist häufig verletzend gegen Mitmenschen und in der Regel unpolitisch.

Einige türkische Kulturschaffende, die in Deutschland leben, wurden kürzlich über ihre Meinung zum Böhmermann-Gedicht gefragt. Fast alle drückten sich sehr höflich aus und meinten, daß dieses Gedicht zu kurz greift und völlig unpolitisch ist, weil es die Gefährlichkeit des türkischen Staatspräsidenten negiert und keinen politischen Angriff auf das System Erdoğan leistet. - Das fällt allerdings auch schwierig mit einem Gedichtlein, wo es dauernd nur um seinen Pimmel geht.

Angeblich wollte Böhmermann mit dem Gedicht Erdoğan provozieren. Das ist ihm jetzt durchaus gelungen, aber eine Unterstützung für den Widerstand demokratischer und linker Kräfte in der Türkei ist es garantiert nicht. Im Gegenteil:

Durch die katastrophale Entscheidung der Bundesregierung, den Paragraphen 103 StGB (Beleidigung von ausländischen Staatsoberhäuptern) als Grundlage anzuerkennen und eine Klage Erdoğans gegen Böhmermann zuzulassen, wird dessen Rolle klar gestärkt und nicht geschwächt. Am liebsten wäre Edogan sicher sogar eine Auslieferung von Böhmermann.

Bei der Entscheidung der Regierung handelt es sich klar um eine politische Entscheidung, der Widerstand entgegengesetzt werden muß. Satire-, Kunst- und Medienfreiheit dürfen nicht verhandelbar sein!

Die Gewerkschaft ver.di sagt übrigens dazu in einer Presseerklärung: "...Journalisten werden (in der Türkei) verhaftet, nach Schauprozessen ins Gefängnis geworfen oder (es werden) regierungskritische Medien enteignet.

Diesen antidemokratischen Politikstil versucht die türkische Regierung auch auf Deutschland zu übertragen. Dagegen hätte die Bundesregierung ein Zeichen setzen müssen. Sie hat es nicht getan - das ist bitter!"

Werner Lutz
18.04.2016

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